Kurze Zusammenfassung
Das Video behandelt das Thema des "atheistischen Glaubens" und untersucht, wie man an etwas glauben kann, das man nicht als existent betrachtet. Hartmut von Sass, Theologe und Philosoph, diskutiert die verschiedenen Schattierungen des Atheismus und argumentiert, dass der Glaube durch seinen Antagonisten genauer verstanden werden kann. Er stellt die Vorstellung eines personalen Gottes in Frage und betont die Bedeutung des Glaubens als eine bestimmte Sichtweise auf die Welt. Das Gespräch berührt auch die gesellschaftliche Bedeutung der Religion und die Frage, ob der Glaube für das Hoffen notwendig ist.
- Der Atheismus wird in verschiedenen Schattierungen betrachtet, von der Verneinung spezifischer Lehrstücke bis zur Ablehnung der Sinnhaftigkeit religiöser Überzeugung überhaupt.
- Die Existenz Gottes wird nicht mit der Existenz von Gegenständen gleichgesetzt, sondern als eine besondere Perspektive oder ein Aspekt des Sehens verstanden.
- Der Glaube bereichert die Beschreibung der Welt und kann ethische Werte und Handlungen beeinflussen.
Was heisst «atheistisch glauben»?
Hartmut von Sass erläutert, dass "atheistisch glauben" scheinbar ein Widerspruch in sich ist, aber durch grammatikalische Arbeit aufgelöst werden kann. Der Atheismus verneint nicht einfach die Existenz Gottes, sondern kritisiert spezifische Lehrstücke oder ein bestimmtes Gottesverständnis. Es gibt verschiedene Formen des Atheismus, von der Verneinung bestimmter Doktrinen bis zur Ablehnung der Sinnhaftigkeit religiöser Überzeugung überhaupt. Von Sass betont, dass es wichtig ist, zu verstehen, was genau verneint wird, und dass die Existenz Gottes nicht mit der Existenz von Gegenständen gleichgesetzt werden sollte. Er bezieht sich auf Wittgenstein, der die Sprache als sowohl verhexend als auch heilend betrachtet, und lädt dazu ein, die Unterschiede in unserer gewöhnlichen Sprache genauer zu betrachten, um Verwirrungen zu vermeiden.
Was spricht gegen die Vorstellung von einem personalen Gott?
Von Sass erklärt, dass es verschiedene Existenzweisen gibt, wie die Zahl 7 oder ein Schmerz im Knie, und ebenso unterschiedliche Formen des Atheismus. Der A-Theismus wendet sich gegen einen persönlichen Gott mit Attributen wie Allmacht. Er spielt mit dem Titel "atheistisch an Gott glauben", der von Dorothee Sölle entlehnt ist. Der Atheismus hat eine kritische Seite, die den Theismus verneint, ein Gottesbild, das körperlos und geistig gedacht ist, mit Eigenschaften, die Menschen zukommen. Eine atheistische Theologie in ihrer kritischen Form verneint, dass diese Form der Theologie oder des Gottesbildes noch möglich ist. Er betont, dass eine atheistische Theologie ein zaghaftes Programm ist, das etwas versucht, und dass es eine Maximalposition ist.
Von Sass verwendet eine Zeichnung eines siebenjährigen Jungen, um zu veranschaulichen, dass verschiedene Personen (Chemikerin, Kunstliebhaber, Kunstmakler) dasselbe Bild unterschiedlich beschreiben können. Er verwendet das Beispiel eines Kippbildes (Hase/Ente), um zu zeigen, dass wir unterschiedliche Herangehensweisen an die Welt haben können. Er betont, dass es keine weiteren Entitäten außerhalb dieser Aspekte gibt und dass der Glaube die Beschreibung der Welt bereichert. Er räumt ein, dass es sinnvollere und weniger sinnvollere Aspekte gibt, und schlägt vor, interne Rationalität und Spannungen zwischen Annahmen zu betrachten, um zu einer Berichtigung zu gelangen. Er distanziert sich von einem "Lückenbüßer-Gott", der herhalten soll, um die Lücken der Naturwissenschaften zu füllen, und kritisiert die Vorstellung einer personalen Instanz, die für Gerechtigkeit sorgt.
Von Sass argumentiert, dass der Theismus zwei große Probleme hat: Konflikt mit den Naturwissenschaften und das Problem des Bösen. Er schlägt vor, dass Religion und Wissenschaft nicht miteinander verwechselt werden sollten, da sie unterschiedliche Regelwerke haben. Er kritisiert den Theismus, der nicht erklären kann, warum ein allmächtiger und allgütiger Gott nicht interveniert, um das Böse zu verhindern. Er plädiert dafür, zu den Prämissen zurückzukehren und sich zu fragen, wie es zu diesem Paradox gekommen ist.
Die gesellschaftliche Bedeutung der Religion
Von Sass erklärt, dass der Glaube die Beschreibung der Welt verändert und ethische Werte beeinflusst. Er bezieht sich auf Bruno Latour, der die Welt als Schöpfung oder Schwester Erde sieht und dies als eine neue Erfindung der Ökologie betrachtet. Er erwähnt Daniel Dennett, einen profilierten Atheisten, der die Idee ablehnt, dass der Glaube die Welt reicher macht. Von Sass argumentiert, dass Dennett ein klassisches Gottesbild annimmt und dass er in der Kritik mit ihm in einem Boot sitzt. Er betont, dass die Theologie nicht in der Position ist, den Leuten zu sagen, dass sie ein bestimmtes Bedürfnis haben müssen, sondern dass sie dieses Bedürfnis vorfindet.
Von Sass gibt zu, dass er in seiner Jugend einen Kinderglauben hatte, aber im Laufe seines Studiums eine Krise erlebte und diesen Glauben verlor. Er hat sich explizit mit dem Gebet auseinandergesetzt und plädiert dafür, die Idee eines personalen Adressaten aufzugeben und in einer Wirklichkeit zu beten, in der Gott eine Atmosphäre ist. Er bezieht sich auf Bruno Latour, der die religiöse Rede mit der Rede zwischen Liebenden vergleicht, die nicht auf Informationen, sondern auf Bestätigung und Beziehung ausgerichtet ist.
Von Sass erwähnt Tim Crane, der die Bedeutung des Glaubens betont und sich von Atheisten wie Daniel Dennett abgrenzt. Crane sieht zwei Aspekte im Glauben: einen religiösen Impuls und die Identifikation mit einer Tradition. Von Sass kommt auf einen Text von Jürgen Habermas zu sprechen, der sich an das Begräbnis von Max Frisch erinnert und ein Bewusstsein von dem vermisst, was fehlt, wenn auf den Bild- und Sprachhaushalt der Religion verzichtet wird. Er stellt fest, dass die Religion in ihrer institutionalisierten Form unter Druck steht, aber dass es möglicherweise einen Energieerhaltungssatz im Bereich des Spirituellen oder Religiösen gibt. Er schlägt vor, dass der religiöse Impuls sich andere Wege und neue Formen der Identifikation sucht. Er betont, dass die Hoffnung zur Praxis des Glaubens gehört und dass es zwei Hoffnungsbegriffe gibt: einen, der auf etwas hofft, und einen modalen, der eine Haltung des Lebens ist. Er schließt mit der Weihnachtsgeschichte, die eine Umkehrung aller Werte darstellt und Anlass für neues Hoffen und Glauben gibt.