Kurze Zusammenfassung
Diese Vorlesung behandelt die Themen Individuation, Personalisierung, Authentizität und die Bedeutung des Vertrauens in eine allumfassende Liebe. Es wird untersucht, wie man vom Individuum zum Propheten wird, indem man den Glauben an Gott nutzt, um das eigene Menschsein zu verwirklichen. Die Vorlesung beleuchtet die Philosophie von Søren Kierkegaard, insbesondere seine Auseinandersetzung mit Hegel und die existentielle Interpretation der biblischen Figur Abraham. Abschließend wird die Notwendigkeit der Gottunmittelbarkeit betont, um die eigene Daseinsberufung zu erkennen und zu leben.
- Individuation und Personalisierung als Schlüssel zur Selbstfindung.
- Kierkegaards Kritik an Hegel und die Bedeutung des Einzelnen gegenüber dem Allgemeinen.
- Die existentielle Interpretation der Abraham-Geschichte als Paradigma für den Glauben.
- Die Notwendigkeit der Gottunmittelbarkeit zur Verwirklichung der eigenen Daseinsberufung.
Einführung: Wovon Menschen leben? Wege zum Galaterbrief
Die Vorlesung beginnt mit einer Betrachtung der Erfahrung des Paulus vor Damaskus, die sein Leben veränderte und ihn zu wichtigen Erkenntnissen führte. Bis dahin folgte Paulus als Pharisäer streng dem Gesetz, war aber bereit, die Steinigung des Stefanus hinzunehmen. Nun stellt sich die Frage, wie man Gott so verstehen kann, dass er die Menschen nicht verurteilt, sondern sie liebevoll auf ihrem Weg begleitet. Es geht darum, dass Menschen nicht von Macht oder Gewalt leben, sondern von dem Gefühl, inmitten einer Welt, die sie nicht braucht, berechtigt zu sein.
Vom Individuum zum Propheten
Das Thema der Vorlesung ist der Weg vom Individuum zum Propheten. Wenn man weiß, wer man als Person ist, mit einer besonderen Berufung, dann ist man bereit, die Rolle des Propheten zu erfüllen. Unterhalb dieses Niveaus gibt es keine wahre menschliche Existenz. Der Glaube an Gott ist notwendig, um das zu werden, was wir als Basis des Menschseins verstehen: Person zu sein. Unser Dasein ist ein Geschenk zum Weitergeben, nicht zum Beanspruchen von Rechten. Jesus wollte uns durch Güte befreien, die will, dass es uns gibt.
Kierkegaard und die Existenzphilosophie
Die Vorlesung kehrt zu Themen der Philosophievorlesungen des vergangenen Semesters zurück, insbesondere zu Paulus und seinen Problemen im Römer- und Galaterbrief, gelesen mit den Augen von Søren Kierkegaard, dem Gründer der Existenzphilosophie. Es geht darum, Paulus so zu verstehen, dass seine Worte uns selbst betreffen und unser Leben verändern können. Die Frage ist, was Kirche bedeutet, wenn sie unser Dasein zu ändern vermag, und wie eine Gemeinschaft von Glaubenden die Gesellschaft verändern kann.
Der Einzelne und das Absolute
Der erste Satz im Galaterbrief betont, dass Paulus nicht von Menschen, sondern durch Jesus Christus und Gott zum Apostel berufen wurde. Es geht um die Unmittelbarkeit von Gott, die es ermöglicht, ein Einzelner zu werden und eine absolute Form der Existenzbegründung zu finden. Um seine Berufung als Person zu finden, muss man den Mut aufbringen, ein Einzelner zu werden. Dies wurzelt in einem absoluten Bezugspunkt jenseits von allem Menschlichen.
Psychologie und Theologie der Selbstfindung
Das absolute Gegenüber ist der Punkt, an dem die Psychologie der Selbstfindung in die Theologie übergeht. Kein Psychotherapeut kann die wesentlichen Fragen beantworten, sondern die Psychologie weist bei der Suche nach sich selbst in den Raum der Theologie. Kierkegaard erkannte dies im Widerspruch zu Hegel, der die Religion in der Philosophie aufheben wollte. Für Kierkegaard ist dies skandalös, weil es den Einzelnen im gesellschaftlichen Allgemeinen aufhebt.
Kierkegaards Kritik an Hegel
Hegel sah die Religion als eine Form der Vorstellung des Göttlichen, die in der Philosophie aufgehoben werden müsste. Für Hegel ist die Vernunft identisch mit dem preußischen Staat, der das Ende der menschlichen Geschichte verkörpert. Kierkegaard wehrt sich dagegen, indem er versucht, dieses Denken mit der Bibel aufzubrechen und von innen heraus zu erneuern. Er erhebt zwei prinzipielle Einwände gegen den Gottesdienst der Vernunft im philosophischen Hörsaal.
Abraham als Vater des Glaubens
Kierkegaard nimmt Abraham als Vater des Glaubens zum Ausgangspunkt seiner Darlegung. Paulus sagt, dass Abrahams Vertrauen auf Gott ihm zur unbedingten Bejahung, zur Rechtfertigung gewertet wurde. Rechtfertigung bedeutet die unbedingte Berechtigung, unter den Augen Gottes leben zu dürfen, ohne Vorleistung, aus reiner Gnade. Kierkegaard untersucht, wie sich Abrahams Gottvertrauen unter Beweis gestellt hat.
Furcht und Zittern: Die Prüfung Abrahams
Kierkegaard greift die Geschichte auf, wie Gott Abraham auffordert, seinen Sohn Isaak zu opfern. Er nimmt diese Geschichte als Paradigma für das Wesen des Menschen, für unsere Existenz. Kierkegaard existentialisiert, wie man nicht nur Philosophie betreibt, sondern auch Paulus und die Bibel existenziell auf uns selbst hin verstehen kann. Der Ausgangspunkt ist das ewige Bewusstsein bzw. der Glaube an das Ewige.
Die Bedeutung des ewigen Bewusstseins
Kierkegaard fragt, wie wir leben, wenn wir den Haltepunkt im absoluten Gegenüber, den wir Gott nennen, nicht besitzen. Ohne ewiges Bewusstsein wäre alles nur eine wildgewordene Macht, und das Leben wäre Verzweiflung. Aber darum ist es nicht so. Ohne das Bewusstsein des Ewigen wären Menschen zur Knechtschaft der Elementarmächte der Welt verurteilt. Aus Angst klammern wir uns an die Elementarmächte.
Unendliche Resignation als Weg zum Glauben
Um sich nicht länger an die Nichtigkeit der endlichen Dinge zu verlieren, drängt die geistige Bestimmung den Menschen zu einer unendlichen Resignation gegenüber der irdischen Welt. Wenn wir begreifen, wie heimatlos wir in der Endlichkeit dieser Welt sind, geraten wir zu einer unendlichen Resignation. Kierkegaard meint, dass dies der Anfang ist, um überhaupt zum Glauben im Sinne Jesu fähig zu werden.
Die Doppelbewegung der Unendlichkeit
Kierkegaard nennt die unendliche Resignation das letzte Stadium, das dem Glauben vorausgeht. Erst in der unendlichen Resignation wird man sich seiner ewigen Gültigkeit bewusst. Dann kann man mit der Kraft des Glaubens das Dasein ergreifen, indem man merkt, dass die ganze Welt uns weder ersetzen kann noch will. Es geht darum, inmitten dieser Welt als Person absolut gemeint zu sein.
Die Prüfung Abrahams und die Resignation der Unendlichkeit
Kierkegaard sieht in der Abraham-Erzählung durch das Gebot Gottes die Aufforderung, seinen Sohn Isaak zu opfern. Abraham wird zum Glauben finden, wenn er die Probe Gottes besteht. Er soll alles aufgeben, was ihm bis dahin für Hoffnung zu sein versprach. Man darf die Geschichte nicht vom Ausgang her lesen, sondern als die Bewegung des Glaubens selbst.
Der Ritter des Glaubens und die Doppelbewegung
Es geht nicht darum, irdische Versinnlichkeit aufzurufen, sondern die Bewegung des Glaubens in Beständigkeit Kraft des Absurden zu vollziehen, ohne die Endlichkeit zu verlieren. Der wirklich Glaubende besitzt eine täuschende Ähnlichkeit mit dem Spießer von nebenan. Er hat zur Unendlichkeit seiner Resignation Kraft des Glaubens paradoxerweise die Endlichkeit zurückgewonnen.
Das Wunder des Daseins und die Unendlichkeit
Der Glaubende entleert des Daseins tiefe Wehmut in die unendliche Resignation, kennt aber auch die Seligkeit des Unendlichen. Er hat den Schmerz empfunden, allem zu entsagen, und doch schmeckt ihm die Endlichkeit ebenso gut. Sein Verbleiben in der Endlichkeit ist eine Neuschöpfung Kraft des Absurden. Er macht ständig die Bewegung der Unendlichkeit.
Paulus und das Geheimnis von Tod und Auferstehung
Bei Paulus lernt man im Galaterbrief das Geheimnis von Tod und Auferstehung des Herrn in der Person Jesu. Er verlässt die gesamte Welt, um sie von innen heraus zu erneuern und sie als ein reines Geschenk zurückzuempfangen. Alle Angstfluchtmechanismen finden dann ihr Ende. Man beginnt noch einmal von vorn.
Die Grundlage des Daseins und die Sinnlosigkeit
Man vermag das Wunder des Daseins nur zu leben, wenn man entlang der Endlichkeit begreift, dass man nichts von dem, was existiert, einen inneren Grund zuschreiben kann, weswegen es da sein sollte. In der negativen Gewissheit der Sinnlosigkeit offenbart sich die Entdeckung des Mangels in den Dingen. Im Hintergrund erscheint das, was sein müsste, um allem seinen Wert und seinen Sinn zurückzuschenken.
Glaube als Grundlage des Daseins
Das zu erfahren als Daseinsgrundlage ist Glauben in der Weise Abrahams. Eine Zuversicht, die unerschütterlich ist, weil sie ihren Grund hat, dem Unbedingten. Eine Ruhe, die sich geborgen fühlt, trotz aller Heimsuchungen, indem sie Gottes Hand nimmt. Eine innere Ausgeglichenheit, die ihr Gleichmaß gefunden hat in der Annahme des Endlichen, durch die Aufnahme ins Unendliche.
Paulus und die Berufung zum Apostel
Paulus hört in der Berufung zum Apostel Christi damit auf, den Textauslegungen der Rabbiner zu folgen, und vermeidet zugleich, sich den Autoritäten der Christusgemeinde zu unterwerfen. Was er im Gegenüber der Person Jesu erfahren hat, ist die Begründung, wozu es ihn in seiner Eigenart gibt. Es ist die Offenbarung seiner Daseinsaufgabe.
Die Unmittelbarkeit zu Gott und das Prophetische
Die Unmittelbarkeit zu Gott, welche die menschliche Existenz zu der Daseinsform des Prophetischen erhebt, zeigt sich durch die völlige Unabhängigkeit von allem, was andere sagen. Sie ermöglicht es, den Ruf der eigenen Daseinsberufung so zu vernehmen, dass sie sich zur Evidenz und unbedingten Wahrheit erhebt. Die Gottunmittelbarkeit Pauli ist christologisch.
Paulus und die Fortführung des Auftrags Jesu
Paulus setzt in seiner Art, Gott zu verstehen, fort, wie Jesus vermittelt hat, und glaubt, zum Prophetensein der ganzen Menschheit berufen zu sein. An diesem Punkt muss man über Hegels Idealrealismus hinausgehen, um alles zu begreifen. Das Gesetz wird heute als das Ethische verstanden, und die Religion wird auf Moral reduziert. Paulus sieht das gefährliche daran.
Das Gesetz und das Individuum
Das Gesetz kennt das Individuum nicht, sondern verleugnet es. Es kennt die Dimension des Prophetischen nicht. Es verlangt, dass wir uns gemein machen und gemeinsame Individuen zu sein haben. Für Paulus ist genau das unmöglich, wenn wir die Dimension des Prophetischen begreifen. Das Ethische ist das Allgemeine, und der Einzelne hat die ethische Aufgabe, seine Einzelheit aufzugeben, um das Allgemeine zu werden.
Widerstand und die Unmittelbarkeit zu Gott
Wir hören auf, das Ethisch-Allgemeine zu werden, und widersetzen uns staatlichen Vorschriften und Gesetzen. Wir leisten Widerstand gegenüber der allgemeinen Wehrpflicht und unmenschlichen Gesetzen. Es geht nicht mehr um das Allgemeine, sondern um ein jedes Individuum für sich selbst im Gegenüber Gottes.
Die teleologische Suspension des Ethischen
Kierkegaard sieht die teleologische Suspension des Ethischen im Religiösen. Die Ethik hat den Zweck, uns nachdenklich zu machen, aber wenn das Verbindliche letztlich nur im absoluten Gott gegeben ist, hebt sich die Moral selbst auf. In Furcht und Zittern beschreibt er das in der Berufung Abrahams, seinen Sohn Isaak zu opfern.
Der Glaube und das Paradox
Der Glaube ist das Paradox, dass der Einzelne höher steht als das Allgemeine, aber so, dass er, nachdem er in dem Allgemeinen gewesen ist, sich als der Einzelne isoliert als höher denn das Allgemeine. Wenn dies nicht der Glaube ist, so ist Abraham verloren. Der Glaube ist das Entscheidende, das uns als Individuen dahin bringt, den Mut aufzubringen, die Angst, ein Einzelner zu sein, zu überwinden.
Tragische Helden und die Verwirrungen im Ethischen
Die Griechen erzählten von tragischen Helden wie Agamemnon, der seine Tochter opfern musste, oder Jefte, der seine eigene Tochter tötete. Kierkegaard meint, dass dies nicht genügt, um die Situation Abrahams zu begreifen. Er steht dem Ethischen als absolute Ausnahme gegenüber. Die Religion führt den Einzelnen aus der ethischen Allgemeinheit heraus.
Die Beziehung des Einzelnen zum Absoluten
Es ist angenehm, eine artige Allgemeinausgabe für seinen eigenen Existenzvollzug geltend zu machen. Aber wenn man mit der Welt nicht leben kann, aber im Vertrauen auf Gott ins Irdische zurückkehrt, sieht die Situation anders aus. Jetzt heißt es, einsam hinausgeboren zu werden aus dem Allgemeinen. Abraham konnte sich niemanden mehr verständlich machen.
Der Ritter des Glaubens und die Unverständlichkeit
Der Ritter des Glaubens ist allein auf sich selbst angewiesen. Er empfindet Schmerz darüber, dass er sich anderen nicht verständlich machen kann, aber er verspürt keine Lust, anderen den Weg zu weisen. Er kann als Lehrer nicht auftreten. Er kann keine Sekte gründen. Alles, was er lehren kann, besteht darin, das Martyrium der Unverständlichkeit auszuhalten.
Die Krankheit zum Tode und der Auftrag Jesu
Kierkegaard hat später in seiner Arbeit "Die Krankheit zum Tode" deutlich gemacht, was er vom Dasein der Menschen im Allgemeinen hält: Sie sind krank. Diese Diagnose müssen wir unterstellen, um den Auftrag Jesu an Jeremia als Propheten und an Paulus als Apostel zu interpretieren. Paulus entdeckt, dass alles, was er als Pharisäer gemacht hat, verkehrt ist.
Die Existenzmitteilung und die Erlösung der Menschheit
Man kann das nicht mit dogmatischer Lehre weitergeben, sondern nur in der eigenen Existenz. Der Glaube ist eine Existenzmitteilung und keine Lehrweitergabe. Paulus gewinnt den Schlüssel zum Verständnis seiner selbst dadurch, dass er die Krankheit seiner Normalität begreift und damit die aller Menschen an seiner Seite. Das wird der Auftrag, die gesamte Menschheit zu erlösen.