Kurze Zusammenfassung
In diesem Vortrag argumentiert Professor Klaas Hüsing für ein neues, positiveres Verständnis von Religion und Theologie. Er kritisiert die traditionelle Fokussierung auf Sünde und Schuldgefühle und plädiert stattdessen für eine leiborientierte Theologie, die von den Erfahrungen des Lebens ausgeht. Dabei betont er die Bedeutung von Transzendenz, ästhetischer Erfahrung und einem weiten Begriff des Heiligen Geistes.
- Religion als Verhalten aus Betroffenheit vom Göttlichen oder Heiligen.
- Leib als urresonanzraum für Transzendenz Erfahrungen.
- Bedeutung von Spiel, Tanz und Erotik in der Schöpfung.
Einführung und Begrüßung
Pastorin Henrike eröffnet die Veranstaltung mit einem provokanten Zitat über die menschliche Natur und begrüßt Professor Klaas Hüsing, dessen Werk sich mit einer Theologie auseinandersetzt, die sich von der Fokussierung auf Sünde abwendet. Hüsing wird vorgestellt als Theologe und Schriftsteller, der sich mit Gegenwartsfragen auseinandersetzt und eine "Lebenslehre" entwirft, die vom Leben und nicht nur vom Glauben ausgeht.
Religion und Schuldgefühle
Professor Hüsing beginnt seinen Vortrag mit einem Zitat, das Religionen als "Schuldgefühle mit verschiedenen Feiertagen" beschreibt. Er plädiert für ein fröhlicheres Bild der christlichen Religion, das nicht so sehr auf Sünde fixiert ist, sondern einen milden Optimismus in Bezug auf das Leben entwickelt. Er fragt, wo wir Orte der Transzendenz finden können und schlägt vor, dass ästhetische Erfahrungen und religiöse Erfahrungen überall gemacht werden können, von der Natur bis zum Technikmuseum.
Orte und Anknüpfungspunkte für Transzendenz
Hüsing erörtert die Frage, wie wir uns zu Orten der Transzendenz verhalten und wo wir Anknüpfungspunkte für Transzendenz finden können. Er erinnert an verschiedene Perspektiven in der Tradition, von Schleiermachers Betonung des Bewusstseins bis zu Karl Barths Fokus auf das Wort Gottes. Er schlägt vor, dass der Leib der urresonanzraum für all unsere Erfahrungen ist und dass wir von dort aus neu ansetzen müssen.
Erfahrungen des Heiligen
Hüsing spricht über die Erfahrungen des Heiligen und bezieht sich auf Rudolf Otto, der das Heilige als "Mysterium tremendum et fascinans" beschreibt. Er erklärt, dass das Heilige eine erfahrungsqualität hat, die sowohl ängstigend als auch faszinierend ist. Er gibt Beispiele für solche Erfahrungen, wie den Rheinfall in Schaffhausen oder die Iguazu-Wasserfälle in Südamerika.
Ästhetische vs. religiöse Erfahrung
Hüsing untersucht den Unterschied zwischen ästhetischer und religiöser Erfahrung. Er argumentiert, dass eine Erfahrung dann religiös ist, wenn sie uns ein Angebot macht, wo wir eine neue Verortung in der Welt bekommen, ein neues weltgefühl oder eine neue Orientierung. Er betont auch, dass wir in der religiösen Erfahrung Dankbarkeit adressieren können.
Gefühle als Atmosphären
Hüsing schlägt ein neues Verständnis von Gefühlen vor, nämlich als Atmosphären, die von außen auf uns andrängen und uns berühren. Er bezieht sich auf den Philosophen Hermann Schmitz, der Gefühle als Atmosphären beschreibt, die an uns herandrängen und wo wir uns dann entsprechend verhalten müssen. Er betont, dass der Körper nicht identisch mit dem Leib ist, sondern dass wir vom spürenden Leib ausgehen müssen.
Der spürende Leib
Hüsing erklärt, dass der spürende Leib ein Leib ist, der involviert ist, der Erfahrung aufnimmt und registriert, früher als es der Verstand macht. Er gibt Beispiele, wie der spürende Leib uns warnt, wenn die Atmosphäre im Raum gestört ist, oder wie er uns hilft, durch eine volle Fußgängerzone zu navigieren. Er argumentiert, dass der Leib weiter reicht als der Körper und dass er als spürender Leib bis zur Unendlichkeit reichen kann.
Enge und Weite
Hüsing bezieht sich auf Hermann Schmitz, der gesagt hat, dass es im leiblichen ein Urelement gibt, nämlich die Verschränkung von Enge und Weite, von Einatmen und Ausatmen. Er zitiert ein Gedicht von Goethe, das die Bedeutung von Atmen und Atmung betont. Er erklärt, dass das Neue im Grunde genommen in der Enge passiert, wo wir uns ganz konzentrieren und wo unter Umständen etwas Neues geboren wird.
Weisheitsliteratur im Alten Testament
Hüsing macht einen Schwenk zur Theologie und spricht über die weisheitsliteratur im Alten Testament. Er erklärt, dass es im Alten Testament drei Berufsgruppen gab, die für die Vermittlung zwischen oben und unten zuständig waren: der Prophet, der Priester und die weisheitsliteratur. Er betont, dass die weisheitsliteratur ein optimistischerisches Menschenbild hat und dass sie uns hilft, mit Sünde umzugehen.
Die Kain und Abel Geschichte
Hüsing interpretiert die Kain und Abel Geschichte als eine weisheitliche Überarbeitung, die uns eine Frage deutlich macht, nämlich wie Gewalt entsteht. Er erklärt, dass zum ersten Mal von Sünde die Rede ist, wenn der Brudermord passiert. Er betont, wie stark wir auf Anerkennung aus sind und wie soziale Institutionen ruiniert werden können, wenn da was aus der Balance kommt.
Alternative Schöpfungstheorie
Hüsing spricht über eine kaum bearbeitete Schöpfungstheorie aus den Sprüchen Salomos, wo erzählt wird, dass Gott ein Gegenüber webt, eine Frau Weisheit, die vor ihm auf dem Erdenrund spielt und tanzt. Er erklärt, dass diese alternative Schöpfungserzählung ein ganz anderes weltgefühl hat, wo von Spiel, Tanz und Erotik die Rede ist.
Jesus und die kanaanische Frau
Hüsing erinnert an eine der abgründigsten Erzählungen des Neuen Testaments, nämlich das Treffen Jesu mit der kanaanischen Frau. Er erklärt, dass Jesus in dieser Situation fähig ist, sein Selbstbild zu hinterfragen und noch einmal neu zusammenzusetzen. Er betont, dass Sünde sich dort gerne einnistet, wo wir dabei sind, unser Selbstbild zu zementieren.
Schlussfolgerung
Hüsing fasst zusammen, dass wir religiöse Erfahrung als erfahrungsqualität des Heiligen mehr oder minder überall finden können. Er betont, dass die Welt auf Spiel, Tanz und Eros ruht und dass wir einen weiten Begriff von Heiligen Geist brauchen. Er schließt mit dem Gedanken, dass Theologie dann gut ist, wenn sie eine präventivwissenschaft ist, die uns hilft, krisenfest und zukunftsoffen zu werden.