Wozu nützt eigentlich Religion, Hartmut Rosa? | Gespräch | Sternstunde Religion | SRF Kultur

Wozu nützt eigentlich Religion, Hartmut Rosa? | Gespräch | Sternstunde Religion | SRF Kultur

Kurze Zusammenfassung

Das Video ist ein Interview mit Hartmut Rosa, einem bekannten deutschen Soziologen, über seine Resonanztheorie. Er erklärt, wie Resonanz eine Beziehungsform zwischen Subjekten und Objekten ist, die durch Berührung, Selbstwirksamkeit, Transformation und Unverfügbarkeit gekennzeichnet ist. Rosa diskutiert, wie moderne Gesellschaften, die auf Steigerung und Verfügbarkeit ausgerichtet sind, Resonanzerfahrungen erschweren. Er untersucht die Rolle von Religion, Natur und Kunst bei der Schaffung von Resonanz und wie das Akzeptieren der Unverfügbarkeit, einschließlich des Todes, zu einem gelingenden Leben beitragen kann.

  • Resonanz als Beziehungsform
  • Moderne Gesellschaft vs. Resonanz
  • Rolle von Religion, Natur und Kunst
  • Akzeptanz der Unverfügbarkeit

Einführung in die Resonanztheorie mit einem Brotteig-Beispiel

Hartmut Rosa erklärt seine Resonanztheorie anhand eines Beispiels mit Brotteig, inspiriert von seinem Vater, einem Bäcker. Er beschreibt, wie sein Vater den Teig als ein lebendiges Gegenüber behandelte, das Aufmerksamkeit, Zeit und Ruhe benötigt. Rosa betont, dass der Bäcker nie genau wusste, was der Teig tun würde, was ein Element der Unverfügbarkeit darstellt. Diese Beziehung zum Teig veranschaulicht eine grundlegende Form von Resonanz, bei der man mit einem Gegenüber in Verbindung tritt, das einen gewissen Eigensinn hat und mit dem man in Verbindung steht, sodass man sich selbst als wirksam erlebt.

Die Definition von Resonanz

Rosa definiert Resonanz als eine Beziehungsform und keine subjektive Befindlichkeit. Er erklärt, dass Resonanz eine Beziehung zwischen zwei Objekten oder Subjekt und Objekt ist, die vier Elemente umfasst: Berührung oder Bewegung, Selbstwirksamkeit, Transformation und Unverfügbarkeit. Das erste Element ist, dass etwas berührt oder bewegt, das Interesse weckt und das Gefühl gibt, dass das Ding etwas zu sagen hat. Das zweite Element ist die Selbstwirksamkeit, die Fähigkeit, das Gegenüber zu erreichen und eine Wirkung zu erzielen, die sowohl das Selbst als auch das Gegenüber transformiert.

Die vier Momente der Resonanz

Das dritte Moment der Resonanz ist die Transformation, bei der sich die Beteiligten verändern. Das vierte Moment ist die Unverfügbarkeit, bei der das Gegenüber sich immer ein bisschen entzieht und eigensinnig bleibt. Rosa betont, dass etwas, das vollständig unter Kontrolle ist, nicht mehr zu uns spricht. Er erklärt, dass Unverfügbarkeit wichtig ist, weil die moderne Gesellschaft darauf ausgerichtet ist, alles verfügbar zu machen, was im Widerspruch zum Moment der Unverfügbarkeit steht.

Resonanz vs. Dissonanz

Rosa erklärt, dass Resonanz nicht einfach Harmonie oder Einklang ist, sondern auch Disharmonie umfassen kann. Er betont, dass der Gegensatz von Resonanz nicht Dissonanz ist, sondern Entfremdung. In einem Streitgespräch beispielsweise sind die Gesprächspartner immer noch in einer Resonanzbeziehung, solange sie versuchen, miteinander zu reden. Der Umschlagpunkt zur Entfremdung tritt ein, wenn man sich verschließt und sich nicht mehr berühren lässt.

Beschleunigung und Steigerungszwang als Hindernisse für Resonanz

Rosa diskutiert, wie die Beschleunigung und der Steigerungszwang in modernen Gesellschaften die Herstellung von Resonanz verhindern. Er erklärt, dass moderne Gesellschaften sich nur durch Steigerung erhalten können, was zu einem permanenten Zeitdruck führt. Dieser Zeitdruck und die Orientierung auf Vergrößerung und Verfügbarkeit verhindern, dass man sich auf Resonanz einlassen kann.

Wege zu einem gelingenden Leben trotz Resonanzfeindlichkeit

Rosa schlägt vor, dass man versucht, kleine Oasen der Resonanz im Alltag zu schaffen, wie z.B. Konzerte, Naturerlebnisse oder Gottesdienste. Er betont jedoch, dass Resonanz nicht auf Knopfdruck hergestellt werden kann. Rosa erklärt, dass er sich selbst als Anschauungsbeispiel dafür sieht, wo die Probleme herkommen, und dass er versucht, verschiedene Resonanzbeziehungen zu pflegen, wie z.B. Musikhören oder den Blick in die Sterne.

Der Einfluss der Landschaft auf das Denken

Rosa glaubt, dass seine Liebe zu den Bergen sein Denken beeinflusst hat. Er beschreibt, wie er schon als Kind von den Bergen fasziniert war und wie er sie als ein lebendiges, atmendes Gegenüber wahrnahm, das sich jeden Tag anders präsentiert. Diese Erfahrung hat ihn dazu gebracht, die Resonanztheorie zu entwickeln.

Die Entstehung der Resonanztheorie

Rosa erklärt, dass die Resonanztheorie als Antwort auf eine Resonanzkrise entstanden ist. Er wollte den Unterschied zwischen Tagen, an denen man sich getragen fühlt, und Tagen, an denen man sich hineingeworfen fühlt, verstehen. Er kam auf die Idee, dass das Geworfensein ein schweigendes, starres, indifferentes Gegenüber ist, während das Getragensein ein atmendes, antwortendes Gegenüber ist.

Das Universum: Schweigen oder Antwort?

Rosa diskutiert die Frage, ob das Universum schweigt oder antwortet. Er erklärt, dass er beide Erfahrungen gemacht hat: die des Geworfenseins und die des In-Beziehung-Stehens mit dem Universum. Er betont, dass die Philosophie sich um dieses Spannungsverhältnis drehen sollte.

Die Rolle der Religion bei der Schaffung von Resonanz

Rosa erklärt, dass Religion die Funktion hat, uns die Seite des antwortenden Universums erfahren zu lassen. Religiöse Praktiken wie Gebet und Abendmahl zielen darauf ab, die Seite des Getragenseins erfahrbar zu machen. Er unterscheidet zwischen horizontalen Resonanzachsen (Beziehungen zwischen Menschen), diagonalen Resonanzachsen (Beziehungen zu materiellen Dingen) und vertikalen Resonanzachsen (Beziehungen zur Existenz als Ganzes).

Gott als unverfügbares Gegenüber

Rosa diskutiert, inwiefern Gott als unverfügbares Gegenüber in einer Resonanzbeziehung stehen kann. Er erklärt, dass selbst im Protestantismus, wo Gott oft als transzendent und unerreichbar dargestellt wird, die Idee besteht, dass er uns meint und wir in seinem Ohr sind. Er betont, dass die Bibel ein Zeugnis des Schreiens, Klagens und Hoffens auf Resonanz ist.

Die Deutung von Ritualen und Kreuzen

Rosa analysiert die Funktion von Ritualen wie dem Abendmahl, bei dem alle drei Resonanzachsen aktiviert werden. Er erklärt, dass er keine Ahnung hat, was Theologen dazu sagen, aber dass er die Frage interessant findet, wohin man sich eigentlich hinwendet, wenn man betet. Er betont, dass man sich beim Beten nach innen und nach außen zugleich wendet.

Die Reformation als resonanzfeindliche Bewegung?

Rosa argumentiert, dass die Reformation in gewisser Weise eine genuin resonanzfeindliche Bewegung war, da sie viele der Symbole und Praktiken abschaffte, die zur Stiftung von Resonanz dienten. Er betont jedoch, dass in der Folge andere Resonanzachsen aufgegangen sind, wie z.B. die Kunst und das Naturverhältnis.

Der Einfluss des Raumes auf die Resonanz

Rosa diskutiert, wie der Raum das Resonanzverhältnis beeinflussen kann. Er betont, dass es keine einfachen Kniffe gibt, um einen Raum resonanzfördernd zu gestalten, da es auf die Beziehung ankommt, die man zu dem Raum hat. Er erklärt, dass Natur und Pflanzen tendenziell eher ein Resonanzverhältnis zur Welt und zur Natur ermöglichen.

Die Disposition für Resonanz

Rosa glaubt, dass Menschen von Natur aus Resonanzwesen sind. Er erklärt, dass kleine Kinder mit allen Sinnen versuchen, in ein Antwortverhältnis zu treten. Er betont, dass man die Fähigkeit zur Resonanz verschütten oder verlieren kann, aber dass sie im Grunde immer erhalten bleibt.

Religion und das Opfer des Intellekts

Rosa argumentiert, dass die große Stärke der Religion nicht in der Sinnstiftung liegt, sondern in der Stiftung einer anderen Weltbeziehung. Er betont, dass Religion die Erfahrung stiftet, dass an der Wurzel unserer Existenz ein Antwortverhältnis ist. Er erklärt, dass selbst säkulare Menschen oft heimlich das Horoskop lesen, weil es ihnen den Sinn gibt, dass das Umgreifende etwas mit ihrem Innersten zu tun hat.

Die Sehnsucht nach einer anderen Weltbeziehung

Rosa glaubt, dass die Sehnsucht nach einer anderen Weltbeziehung der Grund dafür ist, dass sich Religion trotz der Säkularisierungsthese gehalten hat. Er erklärt, dass Religion eine Form des medio-passiven Weltverhältnisses stiftet, bei dem man aktiv sein kann, ohne die Dinge unter Kontrolle haben zu müssen.

Gleichbedeutend: Glaube, Naturliebe, Kunstliebe?

Rosa diskutiert, ob es gleichbedeutend ist, an Gott zu glauben, Bäume zu lieben oder ein Kunstliebhaber zu sein. Er erklärt, dass Religion, Kunst und Natur auf der Ebene des Verbundenheitsgefühls gleich sind. Er betont jedoch, dass Religion einen kognitiven Rahmen bietet, um etwas als heilig zu erfahren.

Der Tod und die Unverfügbarkeit

Rosa diskutiert die Frage, was ein Leben ohne den Tod wäre. Er glaubt, dass ein Leben ohne Tod nicht wünschenswert wäre, da es die Verfügbarmachung dessen wäre, was de facto überhaupt nicht verfügbar ist. Er argumentiert, dass wir nicht mit dem Tod in Resonanz treten können, aber dass wir mit dem Faktum unserer Sterblichkeit in Resonanz treten können.

Der Umgang mit dem Tod in verschiedenen Kulturen

Rosa diskutiert, warum der Tod in unserer Gesellschaft aus dem Leben verbannt wird. Er erklärt, dass dies möglicherweise mit unserem aggressiven Verhältnis zur Welt zusammenhängt, bei dem wir alles unter Kontrolle bringen wollen. Er betont, dass in Kulturen, in denen der Tod ein Teil des Weltverhältnisses ist, eine Verbundenheit mit den vergangenen und zukünftigen Generationen entsteht.

Sterbehilfe und das Verfügbarmachen des Todes

Rosa äußert sich skeptisch gegenüber der Sterbehilfe, da sie den Versuch darstellt, den Tod verfügbar zu machen. Er betont, dass er diese Form, mit dem Leben in eine Resonanzbeziehung zu treten, eigentlich erhalten bleiben soll, weil es ihm unverfügbar bleibt.

Das Verhältnis zur Natur im Angesicht des Todes

Rosa diskutiert, wie Menschen sich im Tod wieder der Natur zuwenden wollen, indem sie sich beispielsweise im Ozean oder im Wald verstreuen lassen. Er erklärt, dass dies ein Ausdruck unseres ambivalenten Verhältnisses zur Natur ist, bei dem wir sie einerseits nutzen und ausbeuten, andererseits aber auch eine Resonanzbeziehung zu ihr suchen.

Die Quelle der Lebensfreude

Auf die Frage nach der Quelle seiner Lebensfreude antwortet Rosa, dass er es nicht weiß. Er vermutet, dass es möglicherweise mit schwierigen Bedingungen am Anfang seines Lebens zusammenhängt, die ihm eine grundlegende Empfindung der Getragenheit gegeben haben.

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